Call for Papers - V. Forum Kunst des Mittelalters - Bern 2019
Sektion 1:
... in die Alpen: Mobilität von Altarretabeln und Werkstätten im Spätmittelalter
Sektionsleitung: Barbara Schellewald, Heidrun Feldmann und Henriette Hofmann (Basel)
Es ist ein bekanntes Phänomen, dass es während des „Baubooms“ von Kirchen im Bistum Chur in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts vor allem schwäbische Werkstätten waren, die von dieser Auftragslage besonders profitieren konnten und mit der Anfertigung von Ausstattungsobjekten beauftragt wurden. Als Beispiel sei die Künstlerfamilie Strigel genannt, die vor allem ab 1486 mit Ivo Strigel diesen Markt deutlich dominierte, sodass letzterer in der Forschung bisweilen als „Unternehmer“ verbucht wird. Aus gegenwärtiger Sicht sind jedoch grundlegende Fragen in der kunsthistorischen Forschung zu stark in den Hintergrund getreten. Wie müssen wir uns Auftrags-, Produktions- und Distributionsprozesse unter derartigen ökonomischen Bedingungen vorstellen und inwieweit wird und kann dabei konzeptionell auf den spezifischen Ort hin produziert werden? Was genau machte die Attraktivität der von Strigel und seiner Werkstatt gefertigten Objekte für die Gemeinden im Graubünden des 15. Jahrhunderts aus und wie kam es zu ihrem Erfolg?
Tendenzen der Standardisierung in der Ausführung der Objekte können hier ebenso Aufschluss über die Bedürfnisse von AuftraggeberInnen geben, wie die bisweilen prominenten Selbstnennungen der ausführenden Meister, etwa durch Ivo Strigel auf dem Calanca-Altar. Zu diskutieren wäre, welche Bedeutung der „Ruf“ einzelner Meister bei der Auftragsvergabe zu spielen begann und welcher Wert einer überregionalen Herkunft der Objekte, die auf dem Calanca-Altar ebenfalls erwähnt ist, beigemessen wurde. In den Blick rücken sodann Praktiken der Selbstinszenierung der Produzenten jener Bildwerke und gewähren nicht zuletzt im Vergleich mit anderen Medien Einblicke in das Selbstverständnis von Künstlern und Werkstätten jener Zeit.
Die Distribution von Artefakten und Werkstätten in den Alpenraum und gerade in das Bistum Chur basiert auf einer jahrhundertelangen Tradition – verwiesen sei nur auf die üppige Bildproduktion im Bereich der Wandmalerei im 13. Jahrhundert.
Die Sektion zielt darauf, dieses bislang in der Forschung nur ansatzweise reflektierte Phänomen unter Einschluss der unterschiedlichen Vermittlungsinstanzen und im Vergleich zu Praktiken anderer Regionen und Epochen in den Blick zu nehmen.
Sektion 2:
Brücken zum Jenseits: Mittelalterliche Kunstwerke in Transferprozessen zwischen irdischer und himmlischer Sphäre
Sektionsleitung: David Ganz, Sophie Schweinfurth und Katharina Theil (Zürich)
Geht es um Transferprozesse in mittelalterlicher Kunst, so rückt auch eine besondere Form des Austausches in den Blick: Jener zwischen diesseitiger Sphäre und den vorgestellten jenseitigen Räumen sowie den darin angesiedelten Akteuren – kurz, zwischen Mensch und Gott. Auf dieser vertikal gedachten Achse der Kommunikation kommt mittelalterlichen Kunstwerken als Medien des Transfers eine zentrale Rolle zu. Jede Stiftung eines Kunstwerks an eine heilige oder göttliche Person stellt grundsätzlich eine Beziehungsaufnahme dar, in der zum einen materielle Güter, zum anderen die Arbeit und Mühe der kunstvollen Gestaltung im Akt der Gabe offeriert werden. Das Panel möchte die unterschiedlichen Richtungen und Strukturen des Transfers zwischen Irdischem und Himmlischem genauer in den Blick nehmen und die Bandbreite an künstlerischen Strategien und Konzeptionen der Vermittlung zwischen Mensch und Gott untersuchen, wobei gerade deren Vielfältigkeit und historische Transformation von der Spätantike bis zum ausgehenden Mittelalter vor dem Hintergrund ihres jeweiligen regionalen, historischen, gattungsspezifischen etc. Kontexts interessieren. Insbesondere sind Beiträge willkommen, die theoretische Modelle aus anderen kulturwissenschaftlichen Disziplinen, beispielsweise Ansätze der Gabentheorie, der Akteur-Netzwerk-Theorie oder der Material Religion für die kunstgeschichtliche Diskussion dieser Themenfelder fruchtbar zu machen suchen.
Sektion 3:
Rhein und Maas: Art and Culture across Rivers and Regions
Sektionsleitung: Shirin Fozi (Pittsburgh), Joanna Olchawa (Frankfurt am Main)
Die Sektion richtet den Blick auf Objekte, die innerhalb der Ausstellung ‚Rhein und Maas: Kunst und Kultur, 800−1400‘ im Jahr 1972 in Köln und Brüssel präsentiert wurden und widmet sich der Frage, wie diese – annähernd fünfzig Jahre später – in der aktuellen Forschung zu transkulturellen Verflechtungsprozessen neu und gewinnbringend untersucht werden können.
In der annähernd 400 rheinische und maasländische Objekte umfassenden Ausstellung mit ‚Höhepunkten‘ wie dem Ardennenkreuz, dem Taufbecken des Reiner von Huy oder dem Marienschrein des Nikolaus von Verdun wurden vielfältige künstlerische Interaktionen und eine gemeinsame kulturelle Identität innerhalb der Region thematisiert, die zwischen den Flüssen Rhein und Mass an der heutigen Schnittstelle der Länder Belgien, Deutschland und den Niederlanden liegt. Obgleich das Thema nicht an Aktualität verloren hat, erfordern die Studien solcher Interaktionen heute interdisziplinäre Analysen mit zunehmend weiträumigen und weniger linearen Begriffen. In diesen multilateralen Ansätzen nehmen die konkreten Wege und Vermittlungen einen herausragenden Stellenwert ein: Einerseits wurden Bergketten wie die Alpen und die Pyrenäen oder Flüsse wie der Rhein und die Maas, die Donau und der Dnjepr weniger als Grenzen, sondern vielmehr als Möglichkeiten verstanden, disparate Zentren einander näherzubringen; andererseits fungierten die Straßen und die über das Wasser gespannten Brücken nicht nur als Verbindungsstellen, sondern als Barrieren, die das Eintreiben von Zöllen erleichterten – teilweise von erheblichen Summen, die in Form von wertvollen Objekten entrichtet wurden.
Vor diesem Hintergrund möchte die Sektion zu Beiträgen einladen, die die bei ‚Rhein und Maas‘ ausgestellten Objekte innerhalb der heutigen transkulturellen Verflechtungsprozesse neu verorten. Vorschläge zur Vertiefung stilanalytischer Schwierigkeiten, der Auftraggeberschaft, zu den Sammlungen (sowohl den mittelalterlichen als auch den modernen) oder Konzepten der ‚Lokalisierung‘ und ‚Zuschreibung‘ (insbesondere die Differenzierung in ‚rheinisch‘ und ‚maasländisch‘ betreffend sowie im Sinne eines Qualitätsurteils) sind ebenfalls willkommen. Die Leiterinnen sehen zudem die Sektion als eine Gelegenheit, sich mit den Auswirkungen der Ausstellung ‚Rhein und Maas‘ auf die Historiographie auseinanderzusetzen, die von anderen Großausstellungen aus den 1970er Jahren wie ‚Die Zeit der Staufer‘ (1977) auf unterschiedliche Weise überschattet wurde und angesichts der aktuellen Forschungstendenzen neue Aufmerksamkeit auf ihre thematischen Schwerpunkte zu lenken. Vor allem aber intendiert die Sektion, die Beziehungen zwischen mobilen Objekten und Geographien zu beleuchten und erneut in Betracht zu ziehen, wie diese durch die beiden Flüsse definierte Region in die fließenden Grenzen der heutigen Kunstgeschichte des Mittelalters eingefügt werden kann.
Sektion 4:
Bridging Times and Spaces: Sharing Medieval Heritage in a Globalized World
Sektionsleitung: Barbara Welzel und Katharina Christa Schüppel (Dortmund)
Mittelalterliche Artefakte sind integraler Bestandteil des weltweit geteilten und zu teilenden kulturellen Erbes (shared heritage). Die Geschichten der Objekte sind oftmals komplex: Sie verbinden Kunstwerke, Personen und Orte. Darüber hinaus berichten sie von Reisen, Fragmentierungen, Praktiken des Schenkens, vom Vergessen und Wiederentdecken, von Re-Aktivierungen und Kontextwechseln. Die Geschichte eines mittelalterlichen Objekts zu erzählen bedeutet deshalb mehr als das Überbrücken einer realen oder imaginierten kulturellen Distanz – zwischen uns und dem mittelalterlichen “anderen”. Vielmehr geht es darum, den Weg eines Objekts durch Zeit und Raum zu rekonstruieren.
Doch wem gehört das mittelalterliche Erbe? Worin besteht sein Wert für die kulturell diversen, in stetiger Veränderung begriffenen globalen “heritage communities”? Die geplante Session setzt kunsthistorische Forschung und Vermittlung in Dialog. Gegenstände möglicher Beiträge sind neue kunsthistorische Zugänge in Forschung und Vermittlung zum materiellen kulturellen Erbe des Mittelalters in transkulturellen, multireligiösen Gesellschaften. Unser besonderes Interesse gilt dem Museum als Lernort. Die Sektion steht Beiträgen aus allen mittelalterlichen Kunstgeschichten (europäisch, byzantinisch, asiatisch, islamisch u.v.a.) sowie aus verwandten Disziplinen offen. Themenvorschläge können auf Englisch, Französisch, Italienisch und Deutsch eingereicht werden.
Sektion 5:
Reisen mit Objekten und Texten
Sektionsleitung: Romina Ebenhöch und Kathrin Chlench-Priber (Bern)
Als zentrale Passage und Knotenpunkt zwischen Nord und Süd strukturierten und dominierten die Alpen zahlreiche Wegesysteme, auf denen sich mittelalterliche Reisende als Akteure des Transfers mit den verschiedenartigsten Absichten bewegten. Ob als Händler auf dem Weg in den Orient oder nach Italien, als Jerusalem- oder Rompilger oder als Boten beziehungsweise Gesandte von Adel und Klerus – die Querung der Alpen und die damit verbunden Strapazen und Gefahren hatten alle zu bewältigen.
Das daraus erwachsende Bedürfnis nach einer sicheren Reise, Ankunft und Rückkehr dokumentiert sich darin, dass die Reisenden kleinformatige Objekte mit sich führten, die dies gewährleisten sollten. Solche Objekte konnten auf Reisen Schutz versprechen, als mobile Andachtsmedien fungieren und materielle Speicher einer Erinnerung werden, die aufs Engste mit der Reise selbst verbunden waren. Etwa im Fall einer Pilgerreise, wo zwar die Reise selbst dem Seelenheil zuträglich war, die Reisenden aber zusätzlich versuchten, das erwirkte Heil zu konservieren.
Beispiele für solche Objekte können sein:
- Behältnisse oder Schmuckstücke, die Bilder, Texte, Edelsteine oder andere Substanzen mit apotropäisch konnotierter Wirkung aufnehmen können
- Andachtstexte, -bilder und -gegenstände, durch welche Reisende einen Zugang zum schützenden Heil Gottes zu erlangen suchen
- Pilgerzeichen
- Reliquien
Die interdisziplinäre Sektion richtet ihren Fokus auf mobile, kleinformatige Objekte in den unterschiedlichen Erscheinungsformen, die Reisende durch den Alpenraum mit sich führten.
Wir begrüßen Beiträge, die solchen Objekten gewidmet sind und in denen ihre vielschichtigen Funktionen untersucht werden. Insbesondere sind Beiträge zu Gegenständen, Texten und / oder Bildern willkommen, die ihre Reise in der Schweiz „beendet“ haben und heute Teil von Schweizer Sammlungen sind.
Sektion 6:
Urbi et Orbi: Rom, die Stadt der sieben Hügel zwischen internen Dynamiken und universalem Anspruch (1050–1306)
Sektionsleitung: Giorgia Pollio, Almuth Klein, Daniela Mondini (Mendrisio)
Als Erbin eines Imperiums, Sitz der universalen Institution des Papsttums und wegen der Apostelgräber Ziel für Pilger aus der gesamten christlichen Welt bildet die Stadt Rom eine bevorzugte Plattform für die Erforschung von künstlerischen Austauschprozessen. Gleichzeitig behindern die Reduzierung der nutzbaren Tiberbrücken sowie die eigentümlich wie auf einem Flickenteppich verteilten abitati mit nur wenigen größeren Ballungsräumen, die durch die aufragenden Hügel und sumpfige Niederungen voneinander getrennt blieben, beständige Verbindungen unter den einzelnen Rioni.
In der langen Epoche zwischen den Anfängen der Kirchenreform um 1050 und der Verlegung des päpstlichen Hofs nach Avignon zu Beginn des 14. Jahrhunderts ist eine Zunahme dieser Phänomene zu beobachten: die progressive Internationalisierung der Kurie, der Zusammenschluss des Adels zu großen Clans, später zu Baronsfamilien, die sich in befestigten Wohnsitzen verschanzten, und die Konsolidierung – auch in Rom – der Kommune als dritter Reibungspunkt in der Polarität zwischen Papsttum und Reich.
In der großen Anzahl an Studien zur nachantiken Geschichte der Ewigen Stadt nimmt die kunsthistorische Forschung in der Schweiz seit den wegbereitenden Studien von Paul Styger eine besondere Stellung ein. Fundamental für das Thema der Sektion sind die Untersuchungen von Peter Cornelius Claussen, Begründer des noch laufenden Corpusprojekts Die Kirchen der Stadt Rom im Mittelalter, das an der Università della Svizzera italiana in Mendrisio und der Universität Zürich mit der finanziellen Unterstützung des Schweizer Nationalfonds betreut wird. Gleichzeitig nähern sich die an der Universität Lausanne zusammen mit Università della Tuscia in Viterbo laufenden Arbeiten am Corpus della pittura medievale a Roma ihrem Ende.
Basierend auf der bereits erbrachten Forschungsleistung dieser beiden Projekte erhoffen wir uns Vorschläge zu folgenden Themen:
- Die verschiedenen Grade von Rezeption, Widerstand und Ablehnung fremder Kunstwerke oder Künstler
- Die Möglichkeit, unterschiedliche Niveaus der Reflektion seitens der Auftraggeber und Künstler zu erkennen, von der passiven Angleichung eines „exotischen“ Vokabulars hin zu einer bewussten Entscheidung, motiviert durch persönlichen Geschmacks oder Ideologie
- Das Vorliegen oder das Fehlen künstlerischer und / oder architektonischer Typologien, die jedem der rioni eigen sind, also ob die künstlerische Entwicklung als homogen oder zersplittert zu betrachten ist und welches die Gründe dafür sein können, etwa Rivalität, Nachahmung oder Wettbewerb.
Sektion 7:
Baumeistermobilität, Ideentransfer und Konflikte im spätmittelalterlichen Bauwesen
Sektionsleitung: Jens Rüffer (Berlin)
Im Spätmittelalter gab es im deutschen Sprachraum mit Wien, Prag, Regensburg und Straßburg vier wichtige, überregional bedeutsame Bauhütten, die in die Fläche ausstrahlten, aber auch Fachkräfte anzogen. Für das Hochmittelalter sind die schriftlichen Quellen zum Bauwesen eher bescheiden. Es werden zwar nun des Öfteren die Namen von Baumeistern überliefert, doch sind diese biographisch kaum fassbar. Im 15. Jahrhundert werden die Informationen dichter, sodass einige Baumeister nicht mehr nur über ihre Werke, sondern durch verschiedene schriftliche Quellen umfassender charakterisiert werden können. Zu den großen Namen zählen u.a. die Familie der Ensinger, Hans Niesenberger, Laurenz Spenning, Hans Puchsbaum, Andreas Engel, Jodok Dotzinger, Hans Hültz, Matthäus Böblinger, oder Hans Nussdorf, um nur einige wenige zu nennen.
Der Ideentransfer basiert nicht nur auf der Mobilität der Werkleute, sondern auch auf dem inzwischen gängigen Medium der verkleinerten Risse und Architekturzeichnungen. Innovative Ideen, die von der strukturellen Konzeption bis zur kleinen Einzelform reichten, konnten leicht über große Distanzen verbreitet werden. In Gutachterverfahren werden die Dispute und Konflikte zwischen Baumeister und Kirchenfabrik um das „richtige“ Bauen deutlich. Es häufen sich Nachrichten über Rechtsstreitigkeiten, die Erfüllung von Verträgen, die angemessene Bauausführung aber auch über die Organisationsstrukturen. Es sind sogar Denunziationen von Konkurrenten überliefert, die bei der Ausführung eines Werkes noch zum Zuge kommen wollten. Dieses vielfältige Material verrät einiges über das architektonische Denken jener Zeit, über die soziale Rolle der Baumeister sowie die Organisationsformen des Baubetriebes.
Der geographische Schwerpunkt der Sektion liegt auf dem deutschsprachigen Raum mit folgenden Zentren: der Stadt Wien, dem böhmischen Gebiet mit Prag und Kuttenberg, Sachsen, dem süddeutschen Raum mit Regensburg als Zentrum, dem Oberrhein mit den Zentren Straßburg, Basel und Freiburg sowie der Westschweiz mit den Städten Bern und Fribourg. Die Streitigkeiten über den Weiterbau des Mailänder Domes sind insofern relevant, als auch Baumeister nördlich der Alpen ihre Expertise ablieferten. Der zeitliche Schwerpunkt der Sektion liegt hauptsächlich im 15. Jh.
Gesucht werden Beiträge, die von einer konkreten quellenbasierten Überlieferung ausgehen, diese mit Blick auf Mobilität, Ideentransfer und Konflikte analysieren und in größere architekturhistorische bzw. kunsthistorische Zusammenhänge stellen.
Die Quellen können vielfältigster Art sein, angefangen von Urkunden, Werkverträgen, Rechtsstreitigkeiten oder narrativen Dokumenten bis hin zu Architekturplänen und Rissen. Ziel ist es, möglichst verschiedene Facetten herauszuarbeiten, die die Bauprozesse in jener Zeit besser verstehen helfen.
Sektion 8:
Georgien als Brücke zwischen den Kulturen: Dynamiken kulturellen Austausches
Sektionsleitung: Manuela Studer und Thomas Kaffenberger (Fribourg)
Bereits seit langem wurde Georgien als Schlüsselregion für die Betrachtung mittelalterlicher Kunst zwischen Orient und Okzident identifiziert. Zwischen den Bergketten des Großen und des Kleinen Kaukasus eingespannt, führen wichtige Verkehrswege durch das Land, das damit eine Brückenfunktion zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer, zwischen den Gebieten des Flusses Don und dem Ostmittelmeerraum einnimmt. Als Folge dieser geographischen Lage stand das Land, ganz im Gegensatz zu seiner häufigen Charakterisierung als isoliert und abgelegen, stets in Kontakt mit gleichermaßen benachbarten Ländern und weit entfernten Gebieten wie Palästina (dort besaßen die Georgier wichtige Heilige Stätten), Zypern und Westeuropa. Anhaltende politische Wandel und Umbrüche, einschließlich Beziehungen zu und Besetzungen durch die benachbarten Reiche der Seldschuken und der Byzantiner, machen das Land zu einem Musterbeispiel für die Untersuchung der Dynamiken kulturellen Austauschs im Mittelalter. Zudem beheimatete das Land zahlreiche sprachliche und religiöse Minderheiten, die eine wichtige Rolle als kulturelle Vermittler spielten und ihre eigenen künstlerischen Traditionen ausbildeten.
Trotzdem hat Georgien als Ort kultureller Interaktionen und als multikulturelle Gesellschaft erst in jüngerer Zeit vertieftes wissenschaftliches Interesse erweckt. In vielerlei Hinsicht stellt die anhaltende Unkenntnis des georgischen Materials ein grundlegendes Hindernis für unser Verständnis zahlreicher kultureller Phänomene dar, deren Bedeutung die spezifischen Erscheinungen in Georgien übersteigt. Die wenigen bislang verfügbaren Publikationen betonen Verbindungen zu Konstantinopel und charakterisieren Georgien als Reflex einer “byzantinischen Ökumene”. Zwar ist der Kontakt mit Konstantinopel ein wichtiger, doch wird er meist nur als einseitiger ‘Einfluss’ der byzantinischen Hauptstadt auf das georgische Gebiet interpretiert. Eben jenes Konzept des ‘Einflusses’ findet allerdings zunehmenden Widerspruch und wird ersetzt durch eine Betonung dynamischen kulturellen Austauschs zwischen mehreren Akteuren.
Ein erster Schritt in der Wiederannäherung an das georgische Material, dabei die aktualisierte Methodologie verwendend, wurde 2017 mit der Tagung “Cultural Interactions in Medieval Georgia” in Fribourg (Schweiz) geleistet. Ziel der Sektion im Rahmen des Forum Kunst des Mittelalters 2019 wird sein, explizit eine Plattform für junge Wissenschaftler bereitzustellen, die den geschilderten Weg weiter beschreiten wollen: das Wissen über den künstlerischen Austausch im mittelalterlichen Georgien vertiefen mittels Berücksichtigung des Konzeptes dynamischer kultureller Interaktion.
Sektion 9:
Die Brücke in der Stadt. Passagen, Bilder, Handel, 12.–14. Jahrhundert
Sektionsleitung: Philippe Cordez (Paris)
Sponsored session: Deutsches Forum für Kunstgeschichte, Paris
1254 erreichte Wilhelm von Rubruk Karakorum, die Hauptstadt des mongolischen Reiches, die er im Auftrag Ludwigs IX. besuchte. Dort hörte er gleich von einem französischen Goldschmied im Dienste des Großkhans, Guillaume Boucher, der einen Bruder, Roger, auf der „großen Brücke“ in Paris habe. Warum die große Brücke? Paris bestand seit der Antike im Kern aus einer Insel, der Île de la Cité, mit zwei Brücken. Die längere von ihnen vor allem, über den rechten Flussarm, muss ein vielbesuchter Ort gewesen sein. Sie führte zum Königspalast und trug, unter direkter Aufsicht des Herrschers, die für Königtum und Stadt wichtigen Läden der Goldschmiede und Geldwechsler. Unter der Brücke zahlten die Schiffer Zoll, und dort waren Mühlen angebracht. Am Ufer wurde die Brücke von einer Festung verteidigt, neben der die Metzger etabliert waren: Dass der Goldschmied in Karakorum Boucher hieß, mag von einem früheren Aufstieg seiner Familie, über wenige hundert Meter, zeugen.
Auf den Brücken vieler Städte spielten sich im Hoch- und Spätmittelalter Szenen ab, die das soziale Gefüge entscheidend prägten. Städte brauchen Wasserzugang, und mit der raschen Urbanisierung entstanden insbesondere zwischen dem 12. und 14. Jahrhundert auch neue Brücken, mitunter komplexe und kostspielige Steinkonstruktionen, die technisch an römisch-antike Vorbilder anknüpften und oft, wie Kirchenbauten, gemeinschaftlich finanziert wurden. Die Steinerne Brücke in Regensburg (1135) galt als Rechtsperson mit eigenem Siegel. Der Ponte Vecchio in Florenz (1345) wurde in einer perfekten Geometrie als ideale Stadt mit kommerzieller Bestimmung konzipiert. Die Prager Karlsbrücke (1357) diente mit ihrer Bildausstattung der Dynastie der Luxemburger, etwa bei Krönungsritualen. In Luzern wurde ein schlichter hölzerner Wehrgang (1365) zum städtischen Wahrzeichen.
Für die Sektion erwünscht sind Beiträge, die danach fragen, wie Brückenarchitektur städtische Vorstellungen und Erfahrungen materialisierte und bedingte, wie und warum Brücken abgebildet und bebildert wurden, und wie der Brückenalltag mittelalterlicher Städte die Kulturen des Nah- und Fernhandels prägte.
Sektion 10:
Spätmittelalterlicher Kirchenbau Europa: Zwischen Konkurrenz und Konformität
Sektionsleitung: Richard Nemec (Bern) und Gerald Schwedler (Zürich / ab Oktober Kiel)
Das spätmittelalterliche Mitteleuropa lässt sich nicht ohne das strukturell-konstitutive Phänomen des Kirchenbaus verstehen. Seine gesellschaftliche Verankerung machte ihn zum Träger der kulturellen, sozialen und sakramentalen Sinnstiftung. Auffallend ist, dass sich bis zum Eintritt der Reformation eine künstlerisch prägende Architektur mit kostspieliger Bauweise, Ausstattung und Formensprache entwickelte. Fakt ist zudem, dass diese Bauweise oft während ihres Verlaufs immer teurer wurde, wodurch eine Fertigstellung der Bauprojekte oft verhindert wurde. Doch wie sind diese Durchlässigkeit sowie die Höhepunkte und Tiefen einer spätmittelalterlichen Gesellschaft zu deuten? Im Zentrum der Sektion steht das wissenschaftliche Bemühen, solche kulturhistorischen Phänomene zu erforschen.
Von der These ausgehend, dass das lateinische Europa u.a. durch die Synchronisierung von Netzwerken formiert wurde, möchten wir zweierlei Konformitäten untersuchen: Einmal die Konformität im Bereich der gebauten Kultur und zum anderen diejenige der Finanzierungspraktiken, die damit einherging. Dabei standen sich beide Bereiche in einem Polarisierungsverhältnis gegenüber. Die jeweiligen Partizipanten der partikulären spätmittelalterlichen Gesellschaft müssen daher, so die Schlussfolgerung, auch konforme Visualisierungsstrategien verfolgt haben. Dennoch rief dies kompetitive Handlungen hervor, an denen sich sowohl die Kirchenfabriken als auch die von ihnen bezahlten Künstler und Handwerker aktiv beteiligten.
Wenn in der vorgeschlagenen Sektion der Fokus auf die damit einhergehenden Gestaltungsprozesse sowie -kontexte und die Arten der Baufinanzierung gerichtet wird, möchten wir hiermit eine entscheidende Einflussgröße in der Planung und Ausführung mittelalterlicher Profan- und Sakralarchitektur charakterisieren: die sozio-ökonomische Seite als einen der formbestimmenden Aspekte eines umfassenden gesellschaftlichen Prozesses. In einem interdisziplinären Ansatz werden neben den ausgewählten Beispielen aus Bern (Führungen vor Ort können angeboten werden) und generell der heutigen Schweiz auch weitere relevante Projekte aus dem Gebiet des mittelalterlichen Reichs aufgegriffen.
Sektion 11:
Dinge im Ritual. Artefakte als Speicher und Agenten sozialer Interaktion
Sektionsleitung: Kirsten Lee Bierbaum und Susanne Wittekind (Köln)
Im Fokus der geplanten Sektion sollen Artefakte stehen, die im Kontext ritueller Handlungen eine besondere Aktivierung erfahren und dabei gleichzeitig übergeordnete Netzwerke temporär sichtbar und erfahrbar machen.
Artefakte werden auf vielfältige Weise in rituelle Handlungen integriert: indem sie den Körper der Handelnden schmücken, auszeichnen oder überformen, indem sie als Requisit einer Inszenierung dienen oder selbst Adressat der Handlung sind, indem sie als Zeichenträger personelle Beziehungen sichtbar machen oder über Vergangenheitsbezüge Erinnerung aktivieren. Erscheint das Artefakt zunächst ganz auf das gegenwärtig stattfindende Ritual und seine Teilnehmer bezogen, wo es bewegt, überreicht, angelegt, mitgeführt, präsentiert wird, erweist es sich dabei auf den zweiten Blick als eine komplexe „Verknäuelung“ materieller, räumlicher, zeitlicher und sozialer Dimensionen, die weit über die unmittelbare „performance“ hinausgehen. So spielt die Geschichte der verwendeten Gegenstände eine wichtige Rolle, etwa wenn es sich um eine herrschaftliche oder päpstliche Stiftung oder eine Reliquie handelt, mit der ein Schutzverhältnis aufgerufen wird, oder wenn eine Trophäe oder ein historisches Relikt auf ein identitätsstiftendes Ereignis, etwa eine Schlacht oder einen Gründungmythos verweist. Das Objekt offenbart sich als Speicher von Erinnerung, die durch das Ritual temporär freigegeben wird. Auch geographische Bezüge können Artefakten inhärent sein, wenn etwa Spolien entfernter Territorien oder geplünderter Städte einen ausgedehnten Machtbereich in ein handliches Objekt bannen oder wenn ein entfernt lebender Stifter über den Gegenstand in das Ritual integriert oder sogar in Form eines „Rollenspiels“ zum Mithandelnden gemacht wird. Als Insignien oder Amtszeichen helfen die Objekte einen personalen Körper in einen Amtskörper umzuformen. Sie verleihen ihrem Träger überzeitliche wie transpersonale Eigenschaften und nehmen damit eine aktive Rolle im prozessualen Geschehen ein.
Walter Benjamin weist auf die Einbettung von Kunstwerken in Kult und Ritual hin (Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, 1935). Im Sinne von Émile Durkheim (Die elementaren Formen des religiösen Lebens, 1912) werden die Objekte dabei gleichermaßen als Verkörperungen, Speicher und Quelle einer verbindenden, gemeinschaftsbezogenen Kraft wahrgenommen, die sie in der rituellen Kollektivhandlung wieder freisetzen. Dagegen versteht Alfred Gell solche Artefakte in seiner anthropologischen Kunsttheorie (Art and Agency, 1998) als „Nexus“ und Kristallisationspunkt sozialer Beziehungen, der sogar einen personalen Handlungsträger ersetzen und eigene „Agency“ entwickeln kann.
Inwiefern solche Konzepte kunsthistorisch fruchtbar gemacht werden können, ist eine der Kernfragen der geplanten Sektion. Darüber hinaus sollen die Objekte einerseits in ihrer Materialität, ihrer ikonographischen, ornamentalen und / oder narrativen Ausgestaltung, in ihrer Funktion und Performativität betrachtet werden, andererseits in ihrer handlungs- und körperbezogenen Einbindung als interpersonales Verbindungsglied, sowie schließlich in ihrer Verknüpfung mit übergeordneten Zeitschichten und Netzwerken. Mögliche Objektkategorien wären liturgisches Gerät, Insignien/ Amtszeichen, Paramente, Militaria, Schatzkunst, Votive, Wappen oder Artefakte aus dem Bestattungskontext.
Mögliche Themenfelder wären:
- Artefakte, die durch Rituale eine besondere Aktivierung erfahren
- Objekte, die erst in einer späteren Phase durch rituelle Rahmung eine Neudeutung erfahren
- Objekte, die durch ihre Materialität oder ihre Herkunft auf entfernte Orte oder Gruppen verweisen
- Objekte, die als Träger einer Erinnerung an ein Ereignis oder an einen Stifter verschiedene Zeitschichten miteinander verbinden oder zur Umdeutung der Vergangenheit beitragen
- Artefakte, die im sozialen Gefüge eine aktive Rolle oder einen personellen Charakter einnehmen
- Kleidung, die den Körper ihres Trägers im Ritual transformiert
- theoretische Stellungnahmen, die sich zur Bedeutung von Artefakten für soziale Interaktionen äußern
Sektion 12:
Fels – Höhle – Kirche. Formierung naturgebundener Sakralräume im Mittelalter
Sektionsleitung: Kristin Böse (Frankfurt), Markus Späth (Gießen)
Gebirgslandschaften und exponierte Anhöhen haben in vielen Religionen eine enorme Anziehungskraft auf jene, die Lebensformen asketischer Einkehr bevorzugen. Für das christliche Mittelalter haben bislang vor allem die orthodoxen Höhlenklöster von Kappadokien bis in den südlichen Balkan Aufmerksamkeit erfahren. Doch auch im lateinischen Europa sind mit Felsformationen ‚verwachsene‘ Sakralbauten erhalten, deren Nukleus häufig eine retrospektiv als heiliger Ort verehrte, mit Legenden um hier ansässige Eremiten oder Religiosengemeinschaften verbundene Höhle bildet. Die künstlerische Überformung von Natur generierte Heiligtümer, die als Schwelle zwischen innen und außen, Rückzug und Offenbarung, Natur und Kultur in Erscheinung treten. Dabei bildet sich das Verhältnis von Natur und Kultur zum einen äußerlich ab, erkennbar an der exponierten Lage der Sakralbauten. Zum anderen stellen die entstanden Anlagen selbst komplexe, verschachtelte Sakraltopographien dar, die es in kultischen Zusammenhängen nicht nur mit dem Blick zu ergründen, sondern durch Bewegung körperlich zu erfahren galt.
Die Sektion verfolgt das Ziel, mit ihren Beiträgen die unter Begriffen wie ‚Felsen- und Höhlenkirche‘ firmierenden mittelalterlichen Sakralräume auf ihren hybriden Charakter als durch Architektur, bauplastische sowie malerische Ausstattung überformte Naturräume zu untersuchen. Wir wünschen uns Beiträge, die u.a. thematisieren
- auf welche Weise Konzepte von Sakralräumlichkeit auf die Natur appliziert wurden;
- wie zugleich umgekehrt natürliche Gegebenheiten wie Felsen und Höhlen und die mit ihnen verbundenen mythischen und biblischen Vorstellungen Einfluss auf die Gestaltung nahmen;
- wie sich in diesen naturgebundenen Sakralräumen das Verhältnis von Reklusion und gleichzeitiger topographischer Auszeichnung künstlerisch manifestiert.
Zur Diskussion steht folglich, wie in der Architektur und Ausstattung mittelalterlicher Fels- und Höhlenkirchen mit den naturgegebenen Bedingungen umgegangen wurde und wie diese Auseinandersetzung nicht zuletzt eine (menschengemachte) ‚Gebirgslandschaft‘ formierte, die bis heute vielerorts als topographisch und geographisch distinkt wahrgenommen wird. Es ist dabei dezidiertes Anliegen, in der Sektion gleichermaßen Beispiele aus dem lateinischen Westen mit solchen aus dem byzantinischen Osten in einen fruchtbaren kunsthistorischen Austausch zu bringen.
Sektion 13:
Passagen unterbrochen? Ablehnung und Transformation von Objekten im Mittelalter
Sektionsleitung: Pierre Alain Mariaux (Neuchâtel), Michele Tomasi (Lausanne)
Oft entfaltet sich die mittelalterliche Kunstgeschichte als eine kontinuierliche Erzählung, ohne Brüche und Kanten, als eine Geschichte von Herkunft und Abstammung. Die Rezeptionsgeschichte liefert aber auch Informationen über unterbrochene Passagen, die eine solche kohärente Historiographie untergraben. Jüngste Studien haben eindringlich gezeigt, wie reisende Kunstwerke ikonographisches, technisches, stilistisches Wissen verbreiten können. Aber was ist mit den Fällen, in denen das transferierte Objekt, nicht ohne Vorbehalt begrüßt, assimiliert, oder bewundert wird, sondern Unbehagen, Unverständnis, sogar Ablehnung hervorruft? Vor dem Hintergrund der Schwierigkeiten ein Objekt in einem neuen Kontext zu platzieren, sind gerade Widerstand, Ablehnung oder verweigerte Transformation als Phänomene für den Zustand der beteiligten Kulturen und ihre Möglichkeiten der Interaktion und des Austauschs höchst aufschlussreich.
Die Sektionsleiter laden zur Einsendung von Vorschlägen über die Ablehnung oder Verwandlung von Objekten der verschiedensten Techniken im Bereich des gesamten Mittelalters ein. Ihnen ist es wichtig, diese kritische Rezeption im Zusammenhang mit dem Objekttransfer zu beobachten, sei es in Raum oder Zeit. Reflexionen über die materiellen Spuren der Manipulation und Adaption von Objekten sind ebenso willkommen wie solche, die diese Phänomene aus schriftlichen Quellen herausarbeiten. Der Widerstand gegenüber Kunstwerken und Objekten, der durch Form, Typologie, Material, Ikonographie oder andere Aspekte der Erscheinung der Objekte hervorgerufen wird, fällt ebenso in den Interessenbereich der Sektion wie Gründe des Geschmacks, der Politik, der Religion, der Kultur, die eine Ablehnung, Transformation oder Destruktion erklären helfen. Vorschläge über Beispiele die einen Bezug zur Schweiz haben wären besonders willkommen.
Sektion 14:
Schatzkammer Alpenraum. Zwischen weitreichender Verflechtung und Abgeschiedenheit
Sektionsleitung: Regula Schorta, Evelin Wetter und Michael Peter (Riggisberg)
In abgelegenen Tälern und urbanen Zentren des Alpenraums haben sich, weitab von den europäischen Grossstädten, erstaunliche Schätze erhalten – Zeit- oder Raumkapseln gleich. Sie zeugen zum einen von der strategischen und geopolitischen Bedeutung, die den Tälern und Pässen als entscheidenden Bestandteilen grossräumiger Netzwerke zukam, und zum anderen von der Abgelegenheit, die die Konservierung historischer Augenblicke, Situationen und Gegenstände ermöglichte.
Brigitta Schmedding hat zu Beginn der 1970er Jahre den Bestand an mittelalterlichen Textilien in Kirchen und Klöstern der Schweiz katalogisiert und dabei die jeweilige spezifische Bedingtheit der einzelnen Orte, an denen die Artefakte erhalten geblieben sind, knapp angesprochen. Auf ihrer Pionierarbeit aufbauend möchte die Sektion die Überlieferungszusammenhänge stärker in den Blick nehmen und noch pointierter nach den Gründen für die Ankunft und den Verbleib, oder für die Entstehung textiler Kunstwerke und Objektgruppen im Alpenraum fragen, und nach der Rolle, die die geographische Lage mit all ihren Konsequenzen dabei gespielt hat. Erwünscht sind Referatsvorschläge, die Textilien aus der Schweiz oder dem benachbarten Alpenraum ins Zentrum stellen, deren Kontextualisierung nicht zur zum besseren Verständnis des textilen Gegenstandes, sondern umgekehrt auch zur Erhellung der historischen Situation und Gedankenwelt ihrer Überlieferungsregion beitragen kann.
Sektion 15:
Walter Benjamin und das Mittelalter
Sektionsleitung: William Diebold (Portland, Oregon) und Christopher Lakey (Baltimore, MD)
Sponsored Session International Center of Medieval Art - ICMA
In „Der simulierte Benjamin: Mittelalterliche Bemerkungen zu seiner Aktualität” argumentierte Horst Bredekamp vor sechsundzwanzig Jahren überzeugend, dass Walter Benjamins berühmte These des Verlusts der Aura eines Kunstwerkes durch dessen Reproduktion, nicht für die mittelalterliche Kunst gelte. Vielmehr sei die Wechselbeziehung zwischen Reproduktion und Aura genau umgekehrt von dem, was Benjamin in „ Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ behaupte. Ungeachtet Bredekamps einstiger Bedenken sind Benjamins Popularität und Prävalenz in historischen und kulturhistorischen Untersuchungen, einschließlich denen über das Mittelalter, weiter gestiegen.
Hinsichtlich mittelalterlicher Kultbilder und Reliquien mag Bredekamps Einwand wohlbegründet sein. Doch in seinem Essay über „Das Kunstwerk“ war Benjamin sehr viel mehr an nicht kultischen Werken der Gotik interessiert, besonders an Kathedralen und deren skulpturalen Schmuck. Warum, und was bedeutet dies für die Gültigkeit Benjamins These bezüglich der mittelalterlichen Kunst? Ziel der Sektion ist es, die Frage nach Benjamin und dem Mittelalter neu zu untersuchen, um zu verstehen, warum die Kunst und Architektur der Gotik eine so große Rolle in seinem Denken spielten. Mögliche Themenfelder sind Vorträge, die sich mit jeglichem Aspekt von Benjamins Schriften über das Mittelalter beschäftigen (eingeschlossen Korrespondenzen, Essays jenseits von „Das Kunstwerk...“ etc.), sein Werk vor dem größeren politischem Hintergrund der Zeit zwischen den Weltkriegen beleuchten bzw. sein Schreiben innerhalb einer breiteren Historiographie der Kunstgeschichte der Zeit verorten, sowie Beiträge, die sich mit dem Nutzen von Benjamins Ideen hinsichtlich der aktuellen Mittelalterforschung beschäftigen.
Dank der großzügigen Förderung der Kress Foundation werden die Reisekosten der Sprecher in ICMA gesponserten Sektionen teilfinanziert. Übernommen werden nur Reise- und Hotelkosten. Für Sprecher in ICMA gesponserten Sektionen werden innereuropäische Flugkosten bis zu $600 und transatlantische Flüge bis $1200 übernommen. Die Rückerstattung erfolgt nach der Konferenz und der Vorlage der Belege.
Sektion 16:
Diesseits und jenseits der Karpaten
Sektionsleitung: Jiří Fajt (Prag) Christian Forster und Markus Hörsch (Leipzig)
Sponsored session Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa (GWZO), Leipzig
Im Norden, Osten und teils im Süden umschlossen die Karpaten das mittelalterliche Königreich Ungarn und bildeten lange Zeit seine natürliche Grenze. Passstraßen ermöglichten den Handel mit den Nachbarn, dienten den Heeren expansiver Könige zum Aufmarsch und führten Invasoren ins Land. Zwischen Siebenbürgen und den Fürstentümern Walachei und Moldau, zwischen Oberungarn (Slowakei), Polen und dem Fürstentum Halytsch-Wolodymyr muss es über ökonomische und militärische Kontakte hinaus auch kulturellen Austausch gegeben haben, der häufig zugleich interkonfessioneller (römisch-katholisch / orthodox) oder interreligiöser (Christentum / Judentum) Natur war.
Die Sektion will Beiträge versammeln, die auf der einen Seite diese binneneuropäische Grenze in ihrer Ausprägung und Wirkung als mentale Barriere, auf der anderen den transkarpatischen Kulturtransfer in Architektur und Bildenden Künsten exemplarisch oder über einen längeren Zeitraum hinweg untersuchen. Besonderes Augenmerk sollte sich auf Künstlerwanderungen zwischen Buda und Krakau, zwischen der Zips und Kleinpolen richten, und dies nicht nur während der Herrschaft Ludwigs I., der von 1370 bis 1382 ungarischer und polnischer König war. Erbeten werden auch Beispiele für unilaterale Formen der Kulturübertragung, die mit Eroberung, katholischer Mission oder Migration von Bevölkerungsgruppen einhergingen.
Sektion 17:
Ponti et passages. Vernetzte Systeme in alpinen Räumen
Sektionsleitung: Armand Baeriswyl und Bernd Nicolai (Bern)
Die Infrastruktur in den Alpenräumen veränderte sich im Mittelalter grundlegend. Teils unter Nutzung antiker Strukturen entstanden Bauten, die dem Reisen, Transport, der Rast und Bewirtung oder dem Kult dienten. Eines der grossen alpinen Neubauprojekte nach 1200 war die Gotthardlinie, die eine Verkürzung der Reisezeit nach sich zog. Die Passage der Schöllenenschlucht mit Teufelsbrücke sowie das Gotthardhospitz oder die weit ältere Passage über den Grossen St. Bernhard bildeten ein vernetztes Ensemble unterschiedlicher Bautypen. Kapellen am Wegesrand spiegelten die spezifische Kultsituationen in den Alpen wider. Hinzukommt als weiteres Themengebiet die wirtschaftliche und klimatische Situation mit ihren Auswirkungen auf die Besiedlung oder Erschliessung.
Unter dem Aspekt von Transfer, Interaktion und Aneignung suchen wir aktuelle kulturgeschichtliche, archäologische sowie architektur- und kunstgeschichtliche Beiträge aus dem Alpen-, Pyrenäen- oder Karpatenraum oder darüber zu
- Strassen, Brücken, Transportmitteln
- Alpwirtschaft und Wüstungen
- Hospizen, Kapellen und Klöstern
- Wegkreuzen und anderen Objekten
- Reisebeschreibungen oder künstlerische Aneignungen der Bergwelt
- Klima und dessen Veränderung
- Persönlicher Ausrüstung der Reisenden
Sektion 18:
Art and Crisis in the Late Byzantine Mediterranean
Sektionsleitung: Ivan Drpić (University of Pennsylvania) und Stefania Gerevini (Bocconi University)
Sponsored session The Mary Jaharis Center for Byzantine Art and Culture, Boston
Die Sektion untersucht die Rolle der bildenden Kunst in der Manifestierung, Bewerkstelligung und Herbeiführung von Veränderungen und Verunsicherungen im spätbyzantinischen Mittelmeerraum und fragt gleichwohl umgekehrt, inwieweit die Perzeption von Unsicherheit und Instabilität die Art des Herstellungsprozesses sowie das Verständnis und die Wahrnehmung von Kunst geprägt (? informed) haben.
Die Sektion stellt das Denkbild der Krise in den Vordergrund. Wissenschaftler haben diesen Begriff gewöhnlich in einem negativen Sinn verwendet, um Zeiten von politischen Unruhen, sozialer Spaltung, Wirtschaftsdepression, Pandemie und Kriegsführung zu kennzeichnen. In kunsthistorischen Diskursen ist der Begriff der Krise wiederholt zur Kennzeichnung von Phasen des künstlerischen und kulturellen Niedergangs – und somit in Abgrenzung von künstlerischen Höhepunkten – bemüht worden. Im Griechischen umfasst krisis (κρίσις) jedoch ein anderes semantisches Gebiet: In seiner ursprünglichen Bedeutung referiert der Terminus auf Prozesse der Entscheidungsfindung, der Selektion und des Urteilsvermögens, auf Situationen, die einen Disput und eine Beurteilung erfordern. Diese eher neutrale semantische Färbung ist beispielsweise in der Konzeptualisierung von byzantinischen Weltgerichten sowie in rhetorischen Theorien und Medizindiskursen bezeugt. Inwieweit bietet der auf diese Weise neu definierte Begriff der Krise ein wertvolles konzeptuelles Instrument, um die künstlerische Vielfalt und den Erfindungsreichtum des spätbyzantinischen Mittelmeerraums zu erforschen?
Die Sektion heißt Beiträge willkommen, die aus verschiedenen methodologischen Blickwinkeln untersuchen, inwieweit Bilder, Artefakte und Gebäude Momente der politischen, religiösen und sozialen Unruhen im spätbyzantinischen Mittelmeerraum erfassen und auf diese reagieren; wie wurden sie mobilisiert, um zu entschärfen, zu verbergen oder sogar um Krisen auszulösen. Und wie mögen andersherum die Wahrnehmung von Instabilität und Unterbrechung künstlerische Entscheidungen von individuellen und institutionellen Auftraggebern geprägt haben sowie die Art und Weise, wie Kunstwerke vom Betrachter gesehen und verstanden wurden.
Einsendeschluss: 31. Oktober 2018
Referatsvorschläge bis zu max. einer Seite sind zu senden an